Pompeji by Robert Harris

Pompeji by Robert Harris

Autor:Robert Harris [Harris, Robert]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Historischer Roman
veröffentlicht: 2011-02-13T23:00:00+00:00


Für eine Sänfte war Plinius zu dick geworden. Er bestieg stattdessen eine Kutsche, einen Zweisitzer, in dem sich Gaius neben ihn zwängte. Neben seinem roten und korpulenten Onkel wirkte er so bleich und körperlos wie ein Gespenst. Plinius drückte liebevoll sein Knie. Er hatte den Jungen zu seinem Erben gemacht und die besten Lehrer in Rom für ihn engagiert – Quintilian für Literatur und Geschichte und Nicetes Sacerdos aus Smyrna für Rhetorik. Das kostete ihn ein Vermögen, aber sie behaupteten, der Junge sei brillant. Allerdings würde er nie einen guten Soldaten abgeben. Ihm stand ein Leben als Anwalt bevor.

Eine Eskorte von behelmten Seesoldaten marschierte beiderseits der Kutsche und bahnte ihr einen Weg durch die engen Straßen. Etliche Leute johlten. Einer spuckte aus.

»Was ist denn nun mit unserem Wasser?«

»Seht euch den fetten Kerl an! Ich wette, der braucht nicht zu dursten!«

Gaius sagte: »Soll ich die Vorhänge zuziehen, Onkel?«

»Nein, Junge. Es darf nie so aussehen, als hättest du Angst.«

Plinius wusste, dass an diesem Abend eine Menge wütender Leute unterwegs sein würde. Nicht nur hier, sondern auch in Neapolis und Nola und all den anderen Städten, zumal an einem öffentlichen Feiertag. Vielleicht bestraft uns Mutter Natur, dachte er, wegen unserer Gier und Selbstsucht. Wir foltern sie Tag und Nacht mit Eisen und Holz, Feuer und Stein. Wir schachten sie aus und kippen sie ins Meer. Wir bohren Stollen in sie hinein und zerren ihre Eingeweide heraus – und das alles nur für einen Edelstein, den jemand an seinem hübschen Finger trägt. Wer kann ihr einen Vorwurf daraus machen, wenn sie gelegentlich vor Wut bebt?

Sie fuhren am Hafen entlang. Am Brunnen hatte sich eine riesige Menschenschlange gebildet. Jeder durfte nur einen Behälter mitbringen, und für Plinius war offensichtlich, dass eine Stunde niemals ausreichen würde, wenn alle ihren Anteil bekommen sollten. Diejenigen, die sich am Kopf der Schlange befunden hatten, waren bereits versorgt und eilten davon, ihre Töpfe und Pfannen umklammernd, als wären sie mit Gold gefüllt. »Wir müssen das Wasser heute Abend länger fließen lassen«, sagte er, »und darauf vertrauen, dass dieser junge Aquarius die Reparaturarbeiten wie versprochen ausführt.«

»Und wenn er es nicht tut, Onkel?«

»Dann steht morgen die halbe Stadt in Flammen.«

Sobald sie die Menge hinter sich gelassen hatten und sich auf dem Damm befanden, kam die Kutsche schneller voran. Sie rumpelte über die Holzbrücke und wurde dann wieder langsamer, als sie die Anhöhe zur Piscina mirabilis hinaufrollte. Plinius, der auf dem Sitz herumgeschüttelt wurde, hatte das Gefühl, ohnmächtig zu werden, und vielleicht wurde er es auch. Auf jeden Fall nickte er ein und wurde erst wieder wach, als sie den Hof des Reservoirs erreicht hatten und die geröteten Gesichter von einem halben Dutzend Seesoldaten passierten. Er erwiderte ihren Gruß und stieg, auf Gaius' Arm gestützt, auf unsicheren Beinen aus. Wenn mich der Kaiser von meinem Kommando absetzt, dachte er, werde ich sterben, und zwar so sicher, als wenn er einem Mann aus seiner Prätorianergarde befehlen würde, mir den Kopf abzuschlagen. Ich werde nie wieder ein Buch schreiben. Meine Lebenskraft ist dahin. Ich bin am Ende.



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